Paul Krieger

Tex und Sprache

Schafe – 20 Kurzgeschichten

erscheint in 2024 im p+b-Verlag,

ISBN 9783927684

Copyright beim Autor.

Jeglicher Abdruck, auch auszugsweise, nur mit Erlaubnis des  Autors.

Als Buch und als EBook bei Amazon oder im Buchhandel oder direkt beim p+b- Verlag



Über die Geschichten in diesem Buch

Zur Beschreibung: Eine Rezension.

Die kurzen und einfach geschriebenen Geschichten, die dieser Sammelband von 20 Kurzgeschichten enthält, sind eine echte Entdeckung für mich. Die Titel der Geschichten verführen zum Lesen. Wenn man den Titel "1001 Tag" liest, denkt man zwangsläufig an das Märchen "1001 Nacht" und ist gefangen.

Wie beim Anschauen eines Bildes wird man in die Zeit und die Umgebung der Hauptperson versetzt. In der "Blitzaufnahme" gelingt es dem Autor, das Schicksal und die Sorgen der Hauptpersonen zu übertragen. Und es bleiben noch mehr Fragen zum Überlegen. Aber es gibt keine eindeutigen Antworten. Die bleiben jedem selbst überlassen.
Ich empfehle diese Geschichten allen, die in unser Alltagsleben ohne Beschönigung eintauchen wollen. Man kann sich fragen, wofür es solche Geschichten gibt, ist denn das reale Leben nicht schon genug? Oft aber haben wir nicht genug Zeit, einzuhalten und uns umzuschauen. Die Geschichten sind dafür da, dass wir unser Leben von dieser Seite sehen können, um etwas umzudenken oder sogar zu verändern. Die Hauptsache ist, trotz allem zu lernen die Schönheit zu sehen, sich über das Leben zu freuen, die Schwierigkeiten zu überstehen und weiter zu leben! Zumal wir in den Geschichten Idiome finden können, die uns durch das Leben tragen können. Mir gefällt am besten dies: "Wie man den Nächsten leben solle, wenn man sich selbst nicht leben könne".


Die Geschichten

LIEBENDE - TRAUM - ZUKUNFT - ÜBERLEBEN - BILANZ - VERWIRRUNG - GEWISSHEIT - HASS - ERLÖSUNG - 1001-TAG - BETRUG - BESITZEN - SEHER - AUFBRUCH - FREUNDSCHAFT - DER ZUFRIEDENE - MANN DER MITTE - VÄTER BRÜDERLICHKEIT - VOM GEMEINEN

 

Eine der Geschichten



LIEBENDE
Manchmal wollte Lara das Kind, das war das Schreckliche. Dabei konnte sie sich das gar nicht leisten. Der Freund war Maler ohne Aussicht auf Erfolg. Jahrelang hatte sie brav die Spirale ertragen, dann war es doch passiert. Sie hatte es gleich am nächsten Morgen gespürt, eine Woche drauf hatte sie es dem Freund gesagt. Jetzt spreizte sie die Beine auf dem Behandlungsstuhl des Arztes. Fünfte Woche, sagte der.
Sie biss sich auf die Lippen. Das ist Mord, dachte sie. Ihr Glauben setzte den Beginn des Lebens gleich dem Zeit¬punkt der Befruchtung. Wenn du mich liebst, hatte der Freund gesagt, dann lässt du abtreiben. Der Mensch ist hier, um Kinder zu bekommen, hatte sie unter Tränen erwidert.
Da hatte der Freund bitter gelacht, bevor er fragte, warum auf dieser Welt Kinder verhungerten. Dann hatte er auf die verzogenen Bengel der Geschwister geschimpft.
Sie zog sich an. Sie vertraute dem Arzt. Natürlich helfe ich ihnen, sagte der. In der neunten Woche hören wir uns die Herztöne an, oft treten durch die Spirale Missbildungen ein. Tränen standen in ihren Augen, als sie den alten Arzt ansah. Welch Hoffnung, dachte sie ratlos und verabschiedete sich.
Lara vergaß, in welcher Jahreszeit sie sich befand. Tagelang sprach sie kein Wort mit dem Freund. Wenn sie ihn ansah, heulte sie. Dann schloss sie sich im Bad ein. Sie war froh über die Arbeit im Büro. Vor den Nächten hatte sie Angst. Wenn sie die Wärme des Mannes, den sie liebte, neben sich spürte, hasste sie ihn. Im Traum sah sie ihre Großmutter, die murmelte unentwegt Mörderin, Mörderin. Der Priester wies sie aus dem Beichtstuhl. Sie fand sich in einem Beton-keller wieder, der war weiß, der Boden bedeckt mit Blut und Embryos in allen Größen; deren weitauf-gerissene Augen sahen sie flehentlich an. Da erwachte sie von ihrem Schrei. Der Freund nahm sie in die Arme, aber sie stieß ihn wütend von sich.
In seinen Augen stand es geschrieben: entweder das oder ich. Lara spürte, der Kaffee und der Kuchen bekamen ihr nicht. Das ist allein meine Entscheidung, schrie sie ihn zornig an. Er protestierte. Liebe dich selbst wie deinen Nächsten, sagte er und fragte sie, wie er den Nächsten lieben solle, wenn er sich selbst nicht lieben könne. Sie zweifelte an seiner Liebe. In ihren Augen war er ein Egoist.
Sie spürte das Leben in ihrem Bauch. Trotzig sah sie sich, ihr Kind nach der Arbeit vom Hort abholen. Sie schloss es in die Arme, lachend trug sie das kleine Wesen auf dem Arm, blickte in seine leuchtenden Augen. Da weinte sie, es waren die Augen des Freundes, der sie verlassen hatte.
Eine Woche später ging sie wieder zum Arzt, nein, sie hatte keinen Termin. Im Wartezimmer saß sie lang mit einer Frau und ihrem mongoloiden Kind. Das war vier Jahre alt und lachte sie unablässig an. Zärtlich strich Lara dem Mädchen über die Haare. Als sie dem Arzt gegenüber saß, sah der sie durchdringend an, bevor er von seinen Kindern erzählte. Sie solle doch die Ultraschalluntersuchung abwarten, vielleicht löse sich das Problem von selbst, bat er sie. Da schüttelte sie entsetzt den Kopf.
Sie wollte nicht mehr leben. Hastig griff sie nach den Beruhigungstabletten im Badezimmerschrank. Dann führte sie das Glas an die Lippen, die Brühe roch ekel-haft. Es war ihr, die Großmutter sähe sie tadelnd an und entschlossen schüttete sie die Flüssigkeit in den Ausguss und nahm sieh vor, mit dem Freund zu reden.
Sie rief ihn an. Erregt ging der Freund im Zimmer auf und ab. Er wolle nicht aufgeben wie sein Vater. Warum der wohl mit Achtundfünfzig gestorben sei, brüllte er sie unbeherrscht an. Dann setzte er sich auf die Couch und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Lara setzte sich neben ihn und strich ihm zärtlich durch die Haare. Er blickte auf, sein Blick war leer, Tränen traten ihm in die Augen. Niemand kommt ohne Schuld und Scham durchs Leben, sagte er leise. Sie drückte sich an ihn, dann hielten sie sich fest.
Als Lara am nächsten Morgen zur Arbeit fuhr, stand ihr Entschluss fest. Mechanisch setzte sie den Blinker, mechanisch schaltete sie herunter. Sie hatte nicht auf die Kupplung getreten, folglich krachte das Getriebe. Beim Frühstück hatte der Freund ihr vorgeschlagen, das Kind zur Adoption freizugeben, da käme es zu Eltern, die es liebten und ihm eine Zukunft geben könnten. Entsetzt hatte Lara den Freund da ange- schaut, dann hatte sie ihn angeschrien.
Er fuhr Lara zur Klinik. Sie sprachen kein Wort. Lara stieg aus, drehte sich nicht nach ihm um. Am nächsten Tag besuchte er sie. Sie sah an ihm vorbei, geh jetzt, sagte sie dann, die Blumen ließ sie von der Schwester aus dem Zimmer entfernen. Als sie mit dem Taxi nach Hause kam, stellte sie erleichtert fest, dass ihr Freund nicht da war.
Der Freund lebte jetzt im Süden in einer anderen Stadt. Lara löschte seine Telefonnummer aus Whats-app. Eines Tages wurde festgestellt, an ihrem kleinen Finger wuchs ein bösartiger Tumor. Als sie den Freund im Besuchsraum des Krankenhauses vor sich sah, verbarg sie die Hand mit dem unförmigen Gestell hinter ihrem Rücken. Sie ließ zu, dass er sie festhielt, bevor er in die andere Stadt zurückkehrte. Der Frühling ging zu Ende, als sie mit ihm in eine gemeinsame Wohnung einzog. Lara richtete sie nach ihrem Geschmack ein, was ihm gefiel.
Sie freut sich auf das Wochenende, dann vergisst sie Büro und Fortbildung und die Müdigkeit. Gemein-sam genießen sie den Morgen im Bett. Wenn Lara dem Freund von einem schlimmen Traum erzählt, nimmt er sie stumm in seine Arme. Manchmal streifen sie dann gemeinsam durch die Stadt. Wenn Lara dort Kinder mit ihren Eltern sieht, leuchten ihre Augen und sie sieht den Freund an, der sie hastig weiterdrängt.

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